Startseite
Über uns
Veröffentlichungen
    Sattelrekonstruktion
    Lettisches Zaumzeug
    Tanz im Mittelalter
    Belege für Handelswaren
    Färbemittel
Für Veranstalter
Referenzen

Lettisches Zaumzeug

Zum Sattel gehört Zaumzeug

Nach der Sattelrecherche stand mein nächstes, diesmal etwas einfacheres Projekt an: der Nachbau einer lettischen Trense. Damit verbunden war auch die Beobachtung, wie dieses Zaumzeug auf das Pferd einwirkt im Vergleich zu einem heutigen Zaum.

Die Befundlage ist deutlich besser, als beim Sattel. Bereits um die erste Jahrtausendwende waren doppelt und einfach gebrochene Trensen in Gebrauch. Kandaren und Stangengebisse habe ich bisher in den lettischen Museen nicht gesehen.

Zur Einstimmung ein paar Bilder aus lettischen Museen, alles Gebisse aus dem 10. und 11. Jahrhunderts:


Verschiedene Trensenfunde, z.T. einfach oder doppeltgebrochen, Materialien: Eisen, Silber, evtl. Bronze



Vergleich mit modernen Trensen Oben: modernes Gebiss mit großen Trensenringen, unten: moderne Knebeltrense


Besonderes Merkmal der lettischen Funde sind die halbmondförmigen Knebel an der Seite. Im Gegensatz zu modernen Knebeltrensen lässt die Stellung der Halbmonde ein Einhaken in das Backenstück und damit „schärfer“ stellen des Gebisses nicht zu. Backenstück und Zügel werden außerdem bei den historischen Trensen nicht in ein und denselben Ring geschnallt wie bei den modernen Verwandten.

Für den Nachbau griff ich auf ein handelsübliches, doppelt gebrochenes Gebiß aus Aurigan (Kupfer-Silizium-Zink-Legierung) zurück, wie es mein Pferd auch in seinem normalen Zaum trägt. Grundlage war außerdem ein einfaches Lederreithalfter, das entsprechend verändert wird.

Zuerst wurden die Verzierungen und Riemenverteiler wie bei den Vorlagen aus Bronze gearbeitet. Dann folgte der Halbmond mit den Tauschierungsarbeiten. Die großen modernen Trensenringe wurden entfernt und dafür der Halbmond eingesetzt. Nun wurde außen noch ein weiterer Ring am Gebiss angebracht, um den Zügel aufzunehmen.

Dann kam der erste Proberitt. Ich erwartete, dass das Gebiss deutlich schärfer wirkt, da ja das Backenstück im Vergleich zum modernen Zaum kein Spiel hat. Auch der Zügel könnte wegen des kleineren Ringes direkter wirken.



Detailansicht des Gebisses und des Halbmondelement 


Doch der Zug am Zügel wirkt genauso wie mit den großen Trensenringen. Die Halbmonde verhindern ein Durchrutschen des Gebisses, die seitliche Führung des Pferdekopfes ist also wesentlich direkter. Diesen Effekt erreicht man heute entweder mit breiten Gummiringen oder durch z.B. starre Verbindungen des Trensenringes mit dem Gebiss (z.B. Olivenkopftrense oder auch Knebeltrensen). Ob sich die Druckeinwirkung mit der historischen Trense vom Zügel aus auch in Richtung Genickstück verlagert und damit den Pferdekopf in Richtung Senkrechte/nach unten zieht, konnte ich nicht nachempfinden. Dazu müsste ich „härter hinfassen“, was bei meinem Pferd nicht erforderlich ist.

Mit diesen Erkenntnissen wage ich einige Rückschlüsse auf die damalige Reitweise und den Ausbildungsstand der Pferde:
Wie bereits in meiner Sattelrecherche angenommen, war gutes Manövrieren mit dem Pferd gefordert. Das Tempo stand dabei nicht im Vordergrund, sonst hätte man wohl schärfere Gebisse, z.B. Kandaren, gefunden. Diese hat man verstärkt gefunden, wenn die Kavallerie Angriffe aus vollem Tempo ritt und einfach die Masse und Geschwindigkeit der Tiere die gegnerischen Linien sprengen sollten. Solches kann man z.B. von den Parthern sagen (auch wenn dies jetzt eine viel frühere Epoche ist), die während eine Angriffs augenscheinlich ihre Pferde nur über die „Handbremse“ im Zaum hielten.

Die lettischen Pferde zur ersten Jahrtausendwende waren wohl eher auf feine Hilfen eingestellt, die Kombination Sattel/Zaum ermöglicht eine sehr differenzierte Hilfengebung mit Schenkel, Hand und Gewicht. Der Pferdekopf wird sehr direkt gelenkt, die Einwirkung der Hand ist genauso hart oder weich wie heute. Auch bei höherem Tempo ließen sich die Pferde noch gut kontrollieren und bremsen. Wichtig war den Reitern wohl die gute Lenkbarkeit des Tieres über die direkte Einstellung des Pferdekopfes in die gewünschte Richtung.

Anscheinend wussten die Letten auch um die unterschiedlichen Wirkweisen der Gebisse, sonst hätte man nicht einfach und doppelt gebrochene, gedrehte und glatte Trensen gefunden, sondern nur einen Typus.

Insgesamt kann ich sagen, dass der Nachbau eines lettischen Zaumes auch im heutigen täglichen Einsatz taugt. Von den malträtierenden Gebisserfindungen späterer Zeiten ist man noch weit weg!



Riemenverteiler und Beschläge 


Und hier die Gesamtansicht an Janosch:



Replik einer Trense nach lettischem Originalfund 


Impressum Kontakt
© Ameli Ganz 1998-2014